SELMA

«Ich habe keine Zeit gehabt zu Ende zu schreiben…»

Projektautoren: Tetiana Mihaiesi, Iryna Filipchuk, Olena Shalan

Selma Meerbaum war eine junge Dichterin aus Czernowitz, die Jahrzehnte nach ihrem tragischen Tod in einem nationalsozialistischen Lager in ganz Europa bekannt wurde. Ihre Gedichte beeindrucken die Leserinnen und Leser mit ihrer Offenheit und zeigen Selmas außergewöhnliches poetisches Talent. Ein sensibles Herz eines Mädchens, das die Trauer und den Schmerz, den die Czernowitzer Juden während des Zweiten Weltkriegs erleiden mussten, widerspiegelt.


Ich möchte leben.

Schau, das Leben ist so bunt.

Es sind so viele schöne Bälle drin.

Und viele Lippen warten, lachen, glühn

und tuen ihre Freude kund.

aus: «Poem», 7. Juli 1941

Kindheit




Selma wurde am 5. Februar 1924 als Tochter des Kleinhändlers Chaim Meir Meerbaum und Friederike Schrager geboren. Als das Mädchen gerade neun Monate alt war, wurde ihr Vater krank und starb. Später heiratete ihre Mutter ein zweites Mal. Selmas Stiefvater Leo Eisinger arbeitete als einfacher Weber und daher konnte sich die Familie nur eine kleine Wohnung in der Bilaergasse Nr. 38 leisten. Das Mädchen verbrachte jedoch viel Zeit im Haus ihrer Großmutter, die ihr sehr nahestand.


Jugend




Selma war ein aktives und agiles Kind. Das Studium stand nie auf ihrer Prioritätenliste. Besonders nachdem durch die vollständige Rumänisierung des Schulwesens auch ihr deutschsprachiges Hofmann-Lyzeum in der ehemaligen Altgasse in ein rumänisches Mädchengymnasium umgewandelt worden war und sich die Atmosphäre für jüdische Schülerinnen und Schüler verändert hatte, was für rumänische Schulen in jener Zeit nicht untypisch war. Trotzdem war Selma in einigen Fächern wie Deutsch, Literatur und Religion ziemlich gut. Sie las viel und mit großer Freude. Ihre Lieblingsautoren waren Heinrich Heine, Rainer Maria Rilke, Paul Verlaine und Rabindranath Tagore. Selma war eine gesellige Person, sie verbrachte gerne ihre Zeit im Freien mit ihren Klassenkameraden und besten Freundinnen, darunter Else Keren und Renée Michaeli. So verwundert es nicht, dass sie einige Zeit später Mitglieder der zionistischen Jugendgruppe Hashomer Hazair kennenlernte. Sie interessiert sich jedoch nicht so sehr für diese Bewegung, sondern eher für die anregende Gesellschaft. Bei Hashomer Hazair lernte sie Lejser Fichman kennen, einen jüdischen Jungen, der ihre erste und letzte Liebe wurde. Es scheint, dass Lejser davon keine Ahnung hatte oder aber nur vorgab, von ihren Gefühlen nichts zu ahnen. Selma wagte es nicht, ihre Gefühle zu teilen, stattdessen goss sie sie in poetische Verse. Sie schrieb ihr erstes Gedicht, als sie 15 Jahre alt war.


Selma war ein aktives und agiles Kind. Das Studium stand nie auf ihrer Prioritätenliste. Besonders nachdem durch die vollständige Rumänisierung des Schulwesens auch ihr deutschsprachiges Hofmann-Lyzeum in der ehemaligen Altgasse in ein rumänisches Mädchengymnasium umgewandelt worden war und sich die Atmosphäre für jüdische Schülerinnen und Schüler verändert hatte, was für rumänische Schulen in jener Zeit nicht untypisch war. Trotzdem war Selma in einigen Fächern wie Deutsch, Literatur und Religion ziemlich gut. Sie las viel und mit großer Freude. Ihre Lieblingsautoren waren Heinrich Heine, Rainer Maria Rilke, Paul Verlaine und Rabindranath Tagore. Selma war eine gesellige Person, sie verbrachte gerne ihre Zeit im Freien mit ihren Klassenkameraden und besten Freundinnen, darunter Else Keren und Renée Michaeli. So verwundert es nicht, dass sie einige Zeit später Mitglieder der zionistischen Jugendgruppe Hashomer Hazair kennenlernte. Sie interessiert sich jedoch nicht so sehr für diese Bewegung, sondern eher für die anregende Gesellschaft. Bei Hashomer Hazair lernte sie Lejser Fichman kennen, einen jüdischen Jungen, der ihre erste und letzte Liebe wurde. Es scheint, dass Lejser davon keine Ahnung hatte oder aber nur vorgab, von ihren Gefühlen nichts zu ahnen. Selma wagte es nicht, ihre Gefühle zu teilen, stattdessen goss sie sie in poetische Verse. Sie schrieb ihr erstes Gedicht, als sie 15 Jahre alt war.


Als Selma die Schule beendete, war Europa komplett in den Zweiten Weltkrieg verwickelt. Ängstliche Vorahnungen, die mit jedem Tag in Czernowitz stärker wurden, bereiteten der sorgenfreien Jugend von Selma und ihren Mitmenschen ein Ende.


Czernowitzer Ghetto
und Deportation




Bereits am 5. Juli 1941, als rumänische und deutsche Soldaten in die Stadt einmarschierten, wurde im jüdischen Viertel gewütet und gemordet. Zum Glück lag das Haus der Eisingers weit vom Zentrum des Pogroms entfernt, und daher betraf dieser erste Akt der Grausamkeit in der Stadt Selma und ihre Familie nicht unmittelbar. Es dauerte jedoch nicht lange, bis sich der Horror fortsetzte. Im Oktober 1941 mussten alle Juden auf Anordnung der rumänischen Regierung in ein Ghetto übersiedeln. Doch Selma und ihre Eltern hatten noch einmal Glück: Die Wohnung ihrer Großmutter befand sich auf dem Territorium des Ghettos, sodass sie nicht in fremden Häusern Schutz suchen oder, wie viele andere, in den kalten Herbstnächten auf Dachböden oder in Kellern leiden mussten.


Das tragische Schicksal nahm weiter seinen Lauf und es folgten bald darauf die Deportationen nach Transnistrien, wie die Rumänen das Gebiet östlich des Flusses Dnister nannten, wohin ein Großteil der Juden gebracht wurde. Die Eisingers hatten zum dritten Mal Glück: Stiefvater Leo übte einen als «notwendig» eingestuften Beruf aus, so dass er die Erlaubnis erhielt, mit seiner Familie in Czernowitz zu bleiben. Dies ermöglichte es Selma noch, dem Schicksal ihrer vielen Freunde zu entgehen, für die der Winter 1941/42 ihr letzter gewesen war. Selma fand dies später heraus, als sie selbst nach Transnistrien deportiert wurde. Vorerst erfuhr sie nur, dass ihr geliebter Lejser in ein Arbeitslager in Rumänien verschickt worden war. Selma hätte ihm gerne ihr Gedichtalbum übergeben, aber Lejser war nicht zu ihr gekommen, um sich zu verabschieden.


Einige Monate später musste Selma selbst ihre Heimatstadt verlassen, als die Eisingers von der zweiten großen Deportation erfasst und am 28. Juni 1942 in einem Eisenbahnwaggon Richtung Osten verschickt wurden. Bevor sie an einem Sammelpunkt im Maccabi-Stadion zusammenkommen mussten, hatte das Mädchen es noch geschafft, einer Freundin ihren größten Schatz zu übergeben – ihr Album mit siebenundfünfzig Gedichten – verbunden mit der Bitte, dieses eines Tages Lejser zu schenken.


Sie kam nach Transnistrien, in einen Granitsteinbruch am rechten Ufer des Südlichen Bugs unweit von Ladyzhyn, wieder ein Ghetto und SS-Soldaten, die nach Arbeitern suchten, um eine strategische Straße in der Nähe der Stadt Haisyn zu bauen. Sie musste bei Hitze, Regen und später bei Schnee arbeiten und an Orten bleiben, die für ein Leben nicht bestimmt waren. Innerhalb weniger Monate erschöpften Hunger, Kälte und harte Arbeit das junge Mädchen so sehr, dass sie sich gegen den im Lager wütenden Flecktyphus nicht mehr wehren konnte. Sie starb am 16. Dezember 1942.


Illustrationen von Olena Shalan

Leben im Wort




Ohne ihr Gedichtalbum, das sie ihrer geliebten Freundin überreicht hatte, hätte die Erinnerung an das fröhliche Czernowitzer Mädchen Selma nicht länger gelebt als eine Generation jener Czernowitzer Bürger, die sie persönlich kannten. Es scheint, dass Lejser die bevorstehenden schwierigen Umstände erahnt und es daher nicht gewagt hatte, das Album auf seine Reise nach Palästina mitzunehmen. Er übergab das Album Selmas enger Freundin Renée Michaeli. Lejser Fichman hatte nicht das Glück, das gelobte Land zu erreichen. Renée jedoch kam dort an. So wurden Selmas Gedichte gerettet und 1976 erstmals von ihrem Lehrer Hersch Segal in Israel veröffentlicht.


Heute sind Selmas Gedichte sehr bekannt. Sie inspirieren Künstler in vielen Ländern, Kunstwerke, Musik, Theaterstücke und Performances hervorzubringen. Die Gedichte der «Anne Frank der Bukowina» wurden in viele Sprachen übersetzt. In Czernowitz können sich heutzutage Ukrainisch sprechende Leserinnen und Leser dank der Übersetzungen von Petro Rychlo, Literaturprofessor an der Nationalen Jurij-Fedkowytsch-Universität Tscherniwzi, in Selmas Gedichte einfühlen.


Illustrationen von Olena Shalan

Petro Rychlo – ukrainischer Literaturkritiker, Dozent und Übersetzer. Er übersetzte Selma Meerbaums Gedichte aus dem Deutschen ins Ukrainische für den Band «Ich bin in Sehnsucht eingehüllt».

Selmas Lyrik ist sehr intim und sie dachte selbst nicht daran, für diese Gedichte einmal berühmt zu werden. Es war ihr privates, intimes, literarisches Tagebuch in poetischer Form. Es ist diese Naivität und diese ungeschützte Seele, die ihre Gedichte so faszinierend machen. Nachdem ich eine Reihe ihrer Gedichte übersetzt hatte, die in Tscherniwzi in verschiedenen Zeitungen veröffentlicht wurden, kam mir daher die Idee, diese Gedichte in einem Buch herauszubringen. Die Begegnung mit der berühmten deutschen Schauspielerin Iris Berben, die im jüdischen Haus Selmas Gedichte auf Deutsch las und ich die ukrainischen Übersetzungen, spielte hierbei eine wichtige Rolle. Es war ein sehr eindrücklicher, auch schmerzhafter Abend. Erst da ist deutlich geworden, dass diese Gedichte auch einem ukrainischen Publikum zugänglich gemacht werden sollten und ein solcher Schatz nicht unbeachtet bleiben darf. Schließlich übersetzte ich alle ihre Gedichte in einem Buch.

Textfassung

In den späten 1980er und frühen 1990er Jahren begann ich mich mit der deutschsprachigen Literatur der Bukowina zu befassen und stieß in diesem Zusammenhang auf den Namen Selma Meerbaum-Eisinger. Sie war die jüngste in dieser Gruppe deutschsprachiger Dichter der Bukowina und hatte das tragischste Schicksal. Sie starb im zarten Alter von 18 Jahren in einem NS-Lager, daher war ich zunächst schockiert über das tragische Schicksal dieser Dichterin, einer Anne Frank aus der Bukowina.

Mit anderen Worten, die tragischen Lebensumstände und das politische Klima verhinderten, dass sich dieses Talent in vollem Umfang entfalten konnte. Tatsächlich hielt sie sich nicht für eine berühmte Dichterin. Sie war ein Mädchen, das sich verliebte und Liebesgedichte schrieb, die sie ihrem Freund Lejser Fichman widmete, den sie in der jüdischen Jugendorganisation Hashomer Hazair kennengelernt hatte. In einem solchen Alter, im Alter von 15 bis 17 Jahren, schreiben viele Jugendliche Gedichte, und es ist tatsächlich schwer vorherzusagen, ob dieses Talent später ein hohes dichterisches Niveau erreichen kann. Trotzdem zeigen Selmas Gedichte, dass es ein sehr kraftvolles poetisches Debüt war, obwohl sie nicht vorhatte, eine Gedichtsammlung zu veröffentlichen. Sie schrieb ihre Gedichte in sehr kleiner, ordentlicher, mädchenhafter Handschrift in ihr Album. Heute befindet sich dieses Album in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Es gehört zu den dokumentarischen Schätzen, die als Zeugnisse dieser schrecklichen Zeiten und der großen Opfer der Juden erhalten geblieben sind. Daher haben mich ihre Gedichte zusammen mit anderen Gedichten von Paul Celan, Rosa Ausländer, Alfred Margul-Sperber, Alfred Gong oder Immanuel Weissglas interessiert. Ich übersetzte all diese Dichter und konnte Selma nicht außer Acht lassen. Diese Lyrik ist sehr intim und hat keine hohen literarischen Ansprüche. Offensichtlich dachte Selma selbst nicht daran, für diese Gedichte einmal berühmt zu werden. Es war ihr privates, intimes, literarisches Tagebuch in poetischer Form. Es ist diese Naivität und diese ungeschützte Seele, die ihre Gedichte so faszinierend machen. Nachdem ich eine Reihe ihrer Gedichte übersetzt hatte, die in Tscherniwzi in verschiedenen Zeitungen veröffentlicht wurden, kam mir daher die Idee, diese Gedichte in einem Buch herauszubringen. Die Begegnung mit der berühmten deutschen Schauspielerin Iris Berben, die im jüdischen Haus Selmas Gedichte auf Deutsch las und ich die ukrainischen Übersetzungen, spielte hierbei eine wichtige Rolle. Es war ein sehr eindrücklicher, auch schmerzhafter Abend. Erst da ist deutlich geworden, dass diese Gedichte auch einem ukrainischen Publikum zugänglich gemacht werden sollten und ein solcher Schatz nicht unbeachtet bleiben darf. Schließlich übersetzte ich alle ihre Gedichte in einem Buch. Selmas poetisches Erbe ist klein – 52 Gedichte und einige Übersetzungen, die sie angefertigt hat, und daher passt alles leicht in ein Buch. Das Buch «Ich bin in Sehnsucht eingehüllt. Gedichte eines jüdischen Mädchens an seinen Freund» mit einem sehr interessanten Cover der deutschen Künstlerin Helga von Loewenich wurde im Verlag Czernowitz Knyhy XXI veröffentlicht und ist jetzt für eine ukrainische Leserschaft zugänglich.

Jeder Dichter hat seine eigene Lebenserfahrung, die zur Grundlage seiner Poesie wird. Selma hatte keine solche Erfahrung. Sie ist jung gestorben und daher ist das Themenspektrum ihrer Gedichte nicht zu weit gefasst. Es sind Gedichte über die Natur, über die Liebe, über Bücher, die sie gelesen hat. Dies zeigt zum Beispiel ein Gedicht wie «Stefan Zweig». Sie las diesen österreichischen Autor und war fasziniert von ihm. Diese Faszination drückte sie in Gedichten aus, die Stefan Zweig gewidmet waren. Zum Beispiel übersetzte sie Werke des französischen Dichters Verlaine oder des jiddischsprachigen Dichters Itzik Manger aus Czernowitz. Sie übersetzte auch aus dem Rumänischen. Das gehörte zu ihrem Interessengebiet. Sie hat auch ein Gedicht über die damaligen Ereignisse geschrieben, offensichtlich nachdem eine große Synagoge in Czernowitz – der Tempel – im Juli 1941 niedergebrannt worden war. Und dieses Ereignis hatte einen solchen Einfluss auf sie, dass sie dem Werk den Titel «Poem« gab. Dies ist ihr längstes Gedicht und thematisch das aktuellste, da das Thema des Holocaust hier bereits erkennbar wird. Die anderen Gedichte sind zart wie sanfte Pastellfarben. Übrigens hat sie auch viele Schlaflieder geschrieben. Vielleicht hatte sie in ihrem jungen, weiblichen Wesen eine Sehnsucht nach einer Mutterschaft, die nicht erfüllt wurde. Sie schaukelt ihren Geliebten in ihren Schlafliedgedichten und nicht ein Kind, denn sie hatte keines, sie war zu jung. Sie hat viele solcher Schlafliedgedichte und Schlaflieder verfasst. In einem solchen Kreis kann man die Themen ihrer Gedichte verorten.

Wenn ein Übersetzer einen ganzen Band mit Dutzenden von Gedichten zusammenstellt, ist es schwierig, einen Favoriten auszuwählen. Alle übersetzten Gedichte erhalten die gleiche Aufmerksamkeit des Übersetzers. Wenn Sie aber die Frage stellen, welches der Gedichte mir am tragischsten und zum Teil sogar prophetisch erscheint, würde ich das Gedicht «Ich bin die Nacht« nennen, in dem das Bild eines Bootes allgegenwärtig ist. All dies wird rückblickend von einem sehr tragischen Fall überlagert, da Lejser Fichman, ihr Geliebter, der vom Zionismus überzeugt war, nach Palästina auswandern und ein neues Leben als Pionier und als Siedler beginnen wollte. Als er jedoch 1944 versuchte, auf einem Schiff nach Palästina zu gelangen, wurde dieses Schiff mit vielen jüdischen Flüchtlingen an Bord von einem sowjetischen U-Boot torpediert und ging unter. Alle Passagiere kamen um. Und wenn Sie das Gedicht «Ich bin die Nacht« mit diesem Wissen lesen, bekommt man am ganzen Körper eine Gänsehaut. Ich lese dieses Gedicht jetzt vor. [Petro Rychlo liest das Gedicht auf Ukrainisch vor]:


Ich bin die Nacht. Meine Schleier sind
viel weicher als der weiße Tod.
Ich nehme jedes heiße Weh
mit in mein kühles, schwarzes Boot.

Mein Geliebter ist der lange Weg.
Wir sind vermählt auf immerdar.
Ich liebe ihn, und ihn bedeckt
mein seidenweiches, schwarzes Haar.

Mein Kuß ist süß wie Fliederduft –
der Wanderer weiß es genau ...
Wenn er in meine Arme sinkt,
vergißt er jede heiße Frau.
Meine Hände sind so schmal und weiß,
daß sie ein jedes Fieber kühlen,
und jede Stirn, die sie berührt,
muß leise lächeln, wider Willen.

Ich bin die Nacht. Meine Schleier sind
viel weicher als der weiße Tod.
Ich nehme jedes heiße Weh
mit in mein kühles, schwarzes Boot.


Selma schrieb traditionelle Reimgedichte mit einem bestimmten Metrum. Akzentuierendes Versprinzip. Natürlich ist die Übersetzung solcher Gedichte sehr aufwendig, sie sind viel schwieriger wiederzugeben als freie Verse, weil man hier den Rhythmus und den Takt des Gedichts genau bewahren und den passenden Reim finden muss. All dies sollte natürlich klingen, als ob es vom Autor selbst auf Ukrainisch geschrieben worden wäre. Mit anderen Worten, es sollte nicht steif oder künstlich wirken. Jedes Gedicht hat bestimmte Herausforderungen. Ich würde sagen, dass Selma zwei Gedichte hat, «Tränenhalsband» und ein weiteres Gedicht, die vermeintlich in Prosa geschrieben sind. Sie haben eine solche äußere Konfiguration, dass man sie für Prosa halten kann, aber wenn man anfängt, diese Prosafragmente zu lesen, stellt man fest, dass sie so klar rhythmisch sind, und es gibt auch innere Reime, die sie tatsächlich zu poetischen Werken machen. Zum Beispiel «Tränenhalsband»,

Die Tage lasten schwül und schwer, voll wildem, bangem
eh. Es ist in mir so kalt und leer, daß ich vor Angst
vergeh’.
Die Vögel ziehn gen Mittag hin, sie sind schon lange fort.
Schon seh’ ich keine Aster blühn, und auch die letzten
Falter fliehn, die Berge sind mit Herbst umflort.
Ich bin in Sehnsucht eingehüllt, ich sehne mich nach dir.
Mein heißes Sehnsuchtslied erfüllt die Welt und mich
mit ihr. […]


Wenn man diese Zeilen hört, versteht man, dass dies Poesie ist, keine Prosa. Wenn man sie aber nur sieht, können sie jedoch auf den ersten Blick als Prosafragmente wahrgenommen werden.

Sie sind schwer zu vergleichen, da Celan einen langen Weg in der poetischen Entwicklung zurückgelegt hat. Er wechselte von einem Buch zum nächsten, von einem Gedichtband zum anderen. Wir können seine Haltung als Dichter, seine Entwicklung, seine poetische Entwicklung und seinen Reifeprozess verfolgen. Selma hatte diesen nicht. Sie schrieb ihre Gedichte wie in einem Atemzug als 16-, 17-jähriges Mädchen. Daher ist es schwierig, von poetischen Analogien zu sprechen. Aber sie waren tatsächlich miteinander verwandt. Sie war eine Cousine von Paul Celan und sie kannten sich seit ihrer Kindheit. Sie trafen sich manchmal im Haus ihres Urgroßvaters. Dort sangen sie zum Beispiel am Schabbat jüdische Lieder. Selma hatte eine schöne Stimme. Paul Antschel, wie er damals noch hieß, nahm auch an diesen sakralen Gesängen zum jüdischen Schabbat teil. Selma war noch ein kleines Mädchen, und niemand hätte vorhersagen können, dass sie auch beginnen würde, Gedichte zu schreiben. Anscheinend war sie auch Mitglied der Lesegruppe, vor der Paul Antschel oft Gedichte las. Er las nicht nur seine eigenen Gedichte, sondern auch Gedichte von Rainer Maria Rilke oder Georg Trakl oder anderen deutschen Dichtern, manchmal sogar Fragmente aus Shakespeares Stücken, aus Romeo und Julia; er las Julias Monologe. Er las sie vor einer Gesellschaft von Mädchen, weil Jungen sich für ganz andere Dinge interessierten, für Sport, Fußball und Schwimmen. Paul konnte in ihnen kein dankbareres Publikum finden. Bei den Mädchen hatte er großen Erfolg, da er sehr gut rezitierte. Auch Selma Meerbaum-Eisinger nahm als Zuhörerin an diesen Rezitationen teil. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass der Berliner Verlag Neues Leben 1968 in der Deutschen Demokratischen Republik eine Anthologie veröffentlichte, «Welch Wort in die Kälte gerufen. Die Judenverfolgung des Dritten Reiches», mit vielen Gedichten über den Holocaust von deutsch-jüdischen Dichtern aus Czernowitz. Darin ist auch Paul Celans «Todesfuge» aufgenommen, aber auch Selma Meerbaum-Eisingers «Gedicht». Sie war zu dieser Zeit noch völlig unbekannt. Offensichtlich kannte Paul Celan dieses Gedicht aus dem Manuskript, da Selmas Werke noch nicht veröffentlicht worden waren. Er bestand darauf, das «Gedicht» in die Anthologie aufzunehmen. Er machte es sogar zur Bedingung, dass seine «Todesfuge» nur veröffentlicht werden konnte, wenn der Verlag auch ein Gedicht von Selma publizierte. Es versteht sich von selbst, dass ihm Selma bekannt war, und er kannte auch einige ihrer Gedichte und trug sogar zu deren Veröffentlichung bei.

Selma gehört vielleicht zu den berühmtesten Dichtern aus Czernowitz. 2002 veröffentlichte ich den Band «Die verlorene Harfe. Eine Anthologie deutschsprachiger Lyrik aus der Bukowina», mit meinen Übersetzungen, in die ich Werke von 24 Czernowitzer Autoren aufnahm. Ich denke, es gibt viele dieser Autoren, und in diesem Zusammenhang hat Selma einen Ehrenplatz, da ihr Name im Westen sehr bekannt wurde, nachdem ihr ehemaliger Gymnasiallehrer Hersch Segal in den 1970er Jahren ihre Gedichtsammlung auf eigene Kosten veröffentlicht hatte. Er benutzte den Namen, den sie ihrem Album gab – Blütenlese. Es war so ein kleines Buch, das in einer kleinen Auflage herauskam – 400 Exemplare. Es gab noch keinen Verlag, das heißt, es war eine Art Selbstverlag. Aber dann erreichte eine der Kopien des Buches Deutschland, und ein deutscher Literaturkritiker war sehr beeindruckt von der Qualität dieser Gedichte und dem tragischen Schicksal der Lyrikerin. 1980 veröffentlichte der deutsche Verlag Hoffmann und Campe ein Buch von Selma unter diesem Titel: «Ich bin in Sehnsucht eingehüllt». Der Journalist und Publizist Jürgen Serke schrieb ein sehr umfangreiches Nachwort zum Buch. Und dieses Buch wurde zu einer literarischen Sensation. Dann begann man, Selma wohl auch wegen der Tragik ihres Schicksals in einer Reihe mit Anne Frank zu betrachten. Da es sich um Gedichte eines sehr jungen Menschen handelt, scheint sie mit Gleichaltrigen zu sprechen, mit jungen Menschen im Alter von 15 bis 17 Jahren. In Deutschland sind das oft noch Schüler. Selma wurde an deutschen Schulen sehr populär, und ihre Gedichte werden oft von Schülern gelesen. Viele Komponisten beziehen sich auf Selmas Werk. Fast alle ihre Gedichte wurden vertont. Die deutsche Künstlerin Helga von Loewenich habe ich bereits erwähnt. Übrigens hat sie nicht nur das Umschlag-Design für die ukrainische Ausgabe des Buches erstellt – vor einigen Jahren gab es eine ganze Ausstellung ihrer Bilder, die Gedichte von Selma Meerbaum-Eisinger interpretieren. Diese Ausstellung wurde in Tscherniwzi im Kunstmuseum gezeigt.

Selmas Gedichte zum Nachhören

«Poem» (ukrainische Übersetzung, gelesen von Olena Shalan)
«Poem» (gelesen von Oksana Matiychuk)
«Den gelben Astern ein Lied» (ukrainische Übersetzung, gelesen von Tetiana Mihaiesi)
«Den gelben Astern ein Lied» (gelesen von Oksana Matiychuk)
«Lied» (ukrainische Übersetzung, gelesen von Tetiana Mihaiesi)
«Lied» (gelesen von Oksana Matiychuk)
«Das Glück» (ukrainische Übersetzung, gelesen von Iryna Filipchuk)
«Das Glück» (gelesen von Oksana Matiychuk)